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Zum Vortrag der Gedichte von Manfred Grüttgen

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Kommt, lasst uns Gedichte lesen. Jeder darf, keiner muss.
Zum Vortrag der Gedichte von Manfred Grüttgen

Zum besseren Verständnis muss hier vorausgeschickt werden, dass die verschriftlichte Form der Gedichte dem Leser durch die unkonventionelle Zeilentrennung und fehlende Interpunktion eine - beabsichtigterweise - ungewöhnlich vielfältige und nebeneinander bestehende Deutung der Beziehung der einzelnen Begriffe und Inhalte zueinander gestattet. Bei mehrmaligem Lesen lassen sich so mit der Zeit unterschiedlichste Schichten des Geschriebenen erschließen.
Nachdem in den weiter zurückliegenden Jahren regelmäßige Lesungen stattgefunden hatten, in denen Manfred Grüttgen die Kleinode seines jeweils neuesten Gedichtbands als alleiniger Vortragender vorstellte, entwickelte sich ab 2020 die Idee, die Gedichte von einer Gruppe aus vier Personen gestalten zu lassen. Jeder der Teilnehmenden wählte dazu aus dem Fundus vier Gedichte nach persönlicher Vorliebe aus, so dass sich eine Anzahl von 16 vorzutragenden Gedichten ergab. Es las dann aber nicht jeder nur seine vier selbst gewählten Gedichte, sondern im Wechsel zwischen den Mitwirkenden auch die Gedichte der anderen vor. Das Publikum hörte also mit kurzen Pausen nacheinander jeweils viermal das gleiche Gedicht, vorgetragen von verschiedenen Personen - und damit in vierfacher, jeweils unterschiedlicher Gestaltung, die sich (im Duktus nicht vorher abgesprochen, aber in aufmerksamer Resonanz miteinander) aus dem jeweils eigenen aktuellen Verständnis des Inhalts und der entsprechenden Färbung in Stimmlage, Phrasierung, Betonung, Tempo und der daraus resultierenden Atmosphäre und Stimmung ergab.
Jedes Gedicht wurde damit aus vier verschiedenen Perspektiven erfahrbar, die auf der Bühne miteinander kommunizierten und lebte so im Raum auf vollständigere Weise, als es die - bisher ausschließliche - Künstlerperspektive ermöglicht hatte. Tatsächlich saß der Dichter Manfred Grüttgen bei diesen Veranstaltungen selber gar nicht mehr mit auf dem Podium.

Die persönliche Interpretation des Künstlers ist zwar sehr interessant und hat auch ihre Berechtigung, kann aber für die Aufnahme des Werkes beim Leser oder Zuhörer beileibe nicht ausschließlich relevant sein. Obwohl der Dichter versuchen wird, durch die Art seines Vortrages Einfluss zu nehmen, bleibt für ihn das, was vom Gesagten und wie das Gesagte beim Hörer ankommt, nicht unbedingt berechenbar. Die Innenwelt des Aufnehmenden spielt bei der Interpretation und Sinnfindung die größere Rolle. Es darf auch getrost davon ausgegangen werden, dass der Künstler selbst gar nicht alle subtilen Unterströmungen, aktuellen Bezüge und damit möglichen Wirkungen seines Werkes vorausahnen kann (und will) und deshalb jeder seiner Hörer mit seiner eigenen Perspektive durchaus etwas Neues zum - aufs große Ganze gesehen - vollständigeren Verständnis des Textes beiträgt.
Wenn der Dichter nun im Vertrauen auf die ursprüngliche Eingebung, die zu seinem Text geführt hat, dessen vielschichtige Deutungsmöglichkeiten einer Gemeinschaft von Hörenden in umfassenderer Weise anbieten möchte, scheint es nur folgerichtig, diesem Kreise 'ton Hörern - durch einen Kreis von Vortragenden vermittelt - mehrere unterschiedliche Interpretationen anzubieten, die den Rahmen des individuell und in der Gemeinschaft Wahrnehmbaren erweitern. Die Resonanz mit dem kommunizierten Inhalt wird umfassender und das, was sich durch das Gedicht in die Wirklichkeit begeben möchte, erfährt bei diesem Vorgang eine spürbare Vervollständigung.

Die entsprechenden Lesungen in den Jahren 2020-2023 hinterließen beim Publikum und den Vortragenden einen so tiefen Eindruck, dass in der Folge die Idee entstand, diesen Deutungsvorgang noch um eine Stufe zu erweitern und auch diejenigen Gäste im Publikum als Teilnehmende an der Gestaltung einzuladen, die sich durch eines oder mehrere der Gedichte inspiriert fühlen und mit der persönlichen Färbung ihres Vortrags zur gemeinsam erlebten Verlebendigung des geschriebenen Wortes beitragen möchten. Für die kommenden Veranstaltungen wird deshalb überlegt, wie die bisherige Vorgehensweise - die ja im Grunde immer noch auf den konventionell festgelegten Rollen von Podium und Publikum beruhte - zugunsten der Möglichkeit einer umfassenderen gemeinschaftlich erlebten Wahrnehmung der vorgestellten Werke durch die beim Vortrag transpar
ent werdende Perspektive aller sich freiwillig Beteiligenden geöffnet werden kann. Zu diesen Veranstaltungen (konkrete Termine gibt es bis jetzt leider noch nicht) möchten wir hiermit im Vorfeld alle Interessierten herzlich einladen.

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